darf ich mich vorstellen? Ich bin Chester und inzwischen so etwas wie eine graue Eminenz im Julia Shelter. Ich bin schon sehr, sehr lange hier und fühle mich im Großen und Ganzen ziemlich wohl. Nur meine Arthrose macht mir manchmal heftig zu schaffen, und dann grantel ich schon mal vor mich hin. Aber wenn es zu doll wird mit meinen Schmerzen, bekomme ich von unseren Pflegern Chami und Sunji ein extra Leckerchen, in dem sie vorher Medizin versteckt haben.
Seitdem ich nicht mehr so gut zu Fuß bin, meditiere ich viel und mache mir meine Gedanken über das, was ich hier so aufschnappe. Zum Beispiel am Samstag war unsere große Rudelführerin, die Barbara, wieder da. Wir alle freuen uns immer wie toll, wenn sie angefahren kommt. Wir jauchzen und frohlocken und tanzen in unseren Zwingern. Sie besucht dann jeden von uns und erzählt, was so draußen in der Welt vor sich geht. Aber letzte Woche war sie gar nicht so fröhlich wie sonst. Ein sensibler Hund wie ich spürt so etwas sofort. Und schließlich hab ich ja auch Augen und Ohren am Kopf und bekomme sehr wohl mit, was um mich herum vorgeht. Können Sie sich vorstellen, wie man sich als Hund fühlt, wenn man plötzlich in stiller Nacht aufschreckt durch fremde Geräusche? Wir wissen dann schon immer, was gleich passieren wird: Eine aufklappende Autotür, Gemurmel, Schläge, Winseln, ein Plumps auf die Erde, dann wieder Gemurmel, Lachen, eine zuschlagende Autotür und Vollgas. An Schlaf ist in solchen Nächten natürlich nicht mehr zu denken. Wir tun uns alle zusammen, um unserem neuen Tierheimgenossen mit unseren Worten zu sagen: Wir sind alle hier, beruhige Dich, wir sind jetzt Deine Familie, schon bald, wenn Chami und Sunji kommen, wird Dir geholfen! Alle Jahre wieder um diese Zeit passiert es, manchmal sogar Nacht für Nacht. Hier auf Zypern heißt das Jagdsaison, im fernen Deutschland nennt man es, wie ich gehört habe, Adventszeit. Da sind unsere zweibeinigen Rudelführer immer ganz schön bedrückt und sorgenvoll. Ich halte mich ja oft im Office auf, und den Gesprächen dort entnehme ich, dass es wohl ein Zusammenhang geben muss zwischen der Anzahl von uns Hunden und irgendwas, was sie Spenden nennen. Davon verstehe ich nichts. Hauptsache, mein Futternapf ist gefüllt und ich bekomme meine Medizinleckerlis, wenn ich das mal so profan sagen darf!
Wie schon gesagt, meditiere ich viel. Zeit genug habe ich ja! Nur leider ist es hier jetzt kühl und regnerisch, der Boden ist feucht und kalt. Klar habe ich eine Decke, aber die kurzen Tage und langen Nächte heben meine Stimmung nicht gerade, es sei denn, ich mache mir schöne Gedanken. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Manchmal sehe ich hoch am Himmel einen von diesen riesengroßen, silbernen Vögeln, die laut brummen und einen langen, weißen Schweif hinter sich herziehen. Man hat mir erzählt, dass schon viele meiner vierbeinigen Freunde hier aus dem Julia Shelter oder aus dem PAWS Tierheim im Bauch eines solchen Vogels mitgeflogen sind, weil es in Deutschland Menschen gibt, die einem Zypernhund bei sich ein Zuhause geben. Für mich persönlich kommt das eher nicht in Frage, ich bin nicht mehr reiselustig und mit meinem Leben hier ganz zufrieden. Aber wenn ich an all meine Freunde hier denke, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, dann träume ich von ganz vielen großen Silbervögeln, die sie mitnehmen auf die Reise in schönes, neues Hundeleben. Es soll ja in Deutschland sogar ein Lied geben, das meine Freunde singen, wenn der Riesenvogel gelandet ist. Da ich nicht so musikalisch bin, konnte ich mir leider nur den Anfang merken. Es geht ungefähr so: Vom Himmel hoch, da komm ich her...
Aber da gibt es noch eine andere Sache, über die ich oft nachdenke. Nicht alle Menschen in Deutschland, die uns Zypernhunden zugetan sind, können uns ja gleich ein Zuhause für immer geben. Im Frühjahr war hier bei uns mal eine Frau zu Besuch. Die kannte einige von uns ganz genau mit Namen. Das hat mich gewundert, weil ich zum Beispiel ihr erst offiziell vorgestellt werden musste. Hinterher habe ich dann erfahren, dass die Frau meine Zwingernachbarn deswegen mit Namen begrüßt hat, weil es ihre Patenhunde waren. Das ist eine Sache, die mit auch gefallen könnte. Ich muss nicht reisen, stattdessen kommt der Besuch zu mir. Auch für unsere menschlichen Rudelführer ist das offenbar eine gute Sache. Sie freuen sich immer sehr, wenn sie im Office eine neue Patenschaftsurkunde für einen von uns aufhängen können. Irgendwie habe ich es so verstanden, dass sie damit den Tierarzt leichter bezahlen können. Aber von Gelddingen verstehe ich ehrlich gesagt nicht so viel.
Dafür kenne ich mich aber mit Weihnachten aus! Das ist, wenn große Pakete ankommen und im Office ausgepackt werden. Da sind vielleicht tolle Sachen für uns drin! Decken und Spielsachen und Leckerlis und schicke Halsbänder. Darüber freuen sich auch unsere Rudelführer wie nicht gescheit und rufen immer wieder „Das ist ja wie Weihnachten".
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das mit dem Weihnachten ein schönes Gefühl. Die Rudelführer freuen sich, und das lässt auch uns froh und munter sein. Ich habe ja keine Ahnung, wie das in Deutschland so ist mit dem Weihnachten. Ich für meinen Teil werde noch mal darüber meditieren, ob der große Silbervogel und die Sache mit den Patenschaften und den Päckchen nicht irgendwie alle zusammen gehören. Sie in Deutschland können ja auch mal darüber meditieren, wie Sie das so sehen.
Bis dahin liebe Grüße von
Chester